Vom hier zur ewigkeit

Katalog 2002 mostra Museum und galerie Im Prediger e-Kloster der Franziskanerinnen Schwabisch Gmund und Kulturzentrum Englische Kirhe-galeri Scheffel, Bad Homburg v.d.Hohe “MariaLuisa Tadei Soglia Ubergang Threshold” 2002 ISBN 3-9807297-4-5.

Die visuelle Fragmentierung in MariaLuisa Tadeis Werk ist das unmittelbare Ergebnis ihres deutlichen Anliegens, Ewiges zu schaffen. Sie will dem Sublimen Ausdruck verleihen in visueller Erfahrung, dabei schafft sie Leben, sie betrachtet es nicht. Ihre Kunst ist Zeugnis des Lebens selbst, eines Lebens voll magischem Realismus.

Die Umbrüche im Werk MariaLuisa Tadeis gehen aus ihrem Umgang mit Materialien hervor und aus einer bewusst selbstkritischen Einstellung, die immer neue Grenzgänge ermöglicht. Ihr Anliegen ist es, Materialien mit einer neuen, neuartigen Energie aufzuladen und sich die Sprache des Raumes anzueignen, durch ihre Art, verschiedene Elemente darin zu positionieren. Hierin liegt das Verdienst ihrer Kunst und der von ihr erarbeiteten Formen. Enstprechend sind Skulpturen, die über Schwingung, Rhythmus und Weite einen Eindruck des Sublimen vermitteln, Schwerpunkt ihres Werkes. Auch liefern Spannungsbeziehungen oder Wiederholung einzelner Elemente innerhalb der Arbeiten dem Betrachter einen wichtigen Schlüssel für das Erfassen der Totalität der präsentierten Struktur.

Die konzeptuelle Sprache der jüngsten Installationen aus dem Jahr 2001 markiert einen neuen Anfang für die Künstlerin. Diese letzten Werke haben die Grenzen der Form per se überwunden und erarbeiten stattdessen Symbolisches.

Den einzelnen Objekten, seien sie auch dem vergänglichen Ambiente des aktuellen Ausstellungsortes verpflichtet, ist dennoch eine gewisse Beständigkeit als Teil einer Gesamtkomposition eigen: zufällig, geheimnisvoll und gefühlsgeladen zugleich. Ein Ziel der Arbeiten ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, vielmehr kommt dem Betrachter als Teil des Rezeptionsprozesses die Aufgabe zu, Schlüsselelemente in Tadeis Werk aufzusuchen.

Tadeis Skulpturen haben kein bestimmtes Thema oder Motiv; stattdessen vermitteln sie unmittelbare Präsenz, wesentliche Motivation für ihre Existenz per se. Die Arbeit Tadeis befindet sich in einem Prozess ständigen Umbruchs, der der strikten Kontrolle der Künstlerin unterworfen ist.

Das Wesen ihrer Skulpturen liegt im Reich ästhetischer Prinzipien: Wie mit Raum umgehen? Ihre als Antwort auf diese Frage geschaffenen Arbeiten fordern die Beteiligung des Betrachters heraus und hinterfragen sie zugleich. Die einzelnen Skulpturen sind offen für persönliche Interpretation, die Installationen dagegen beeinhalten eine Masse abstrakter Referenzen, dabei verdichten sie einen Gedanken, der unversehens wie eine Erzählung wirkt und an einen Traum erinnert, in dem jegliche Bedeutung längst verblasst ist.

Die frühen Arbeiten erzielen ihre Wirkung aus den magischen Eigenheiten der Materialien selbst, sie sind konzipiert als mystische Strukturen, die Illusionen vermitteln, dazu den Eindruck von Raum, Flüchtigkeit und Zerbrechlichkeit.

Die Beschäftigung mit der sinnlichen Anmutung von Materialien und ihren Möglichkeiten tritt zugunsten von Abstraktion und einer vielsprachigen Polyphonie zurück. So erhält der Betrachter die Möglichkeit, seine eigene Interpretation in der komplexen visuellen Kodierung der Elemente in Tadeis Arbeiten zu finden.

Über Form und die Wiederholung von Formen entstehen in diesen Skulpturen sowohl eine Harmonie als auch eine Spannung zwischen den unterschiedlichen Elementen und den verwendeten Materialien. In den frühen Arbeiten werden Wände und Fußboden zu aktiven Protagonisten, die Werke scheinen in eine andersartige Realität vorzustoßen, darin zu wachsen und zu fließen; die Natur dagegen bleibt unbeachtet, die Arbeiten wirken merkwürdig ausgegrenzt und jenseitig. Aufgrund der Losgelöstheit von jeglicher Funktionalität und über die aufgerufene Stimmung eines metaphysischen Traums kann Zeit zum Element dieser Skulpturen werden, ein Bruch in jenem Diskurs, den der Betrachter zu entschlüsseln trachtet.

Das erste Kapitel des Werkes nehmen größtenteils bunte, verspielt wirkende Figuren und Tiere ein, recht unbeschwerte Objekte, die sich hier als Hauptdarsteller des teatrum mundi einfinden.

Tadeis später entstandene Arbeiten dagegen stehen in starkem Kontrast zum unschuldigen Grundton dieser frühen Werke; Auslöser war ein schwerer Unfall, in dessen Folge sie sich mit einer Sammlung von Hunderten, für wissenschaftliche Zwecke entstandenen Fotografien von Augen-Hornhäuten konfrontiert sah.

Diese Corneae präsentiert die Künstlerin nun in vielfacher Vergrößerung, wobei sie die gewohnten Proportionen ganz und gar sprengt. Das Konzept des Fragments spielt auch hier eine wichtige Rolle, es wird in einer neuartigen, fraktionierten Normalität gezeigt, in der sich vollkommen neue Bedeutungen auffalten. Die Arbeit wirkt insgesamt ungewohnt und beunruhigend, das Auge erscheint als eine Art farbiger Dschungel, begleitet von Natursymbolik.

Ähnlich ungewohnt ist der Einsatz von Musik bei den Installationen oder eine Videopräsentation mit einer Bildsequenz, die über die rasche Interaktion von verschiedenen Aufnahmen des Auges eine beinahe halluzinatorische Wirkung ausübt.

Die Verwendung von traumartigen Objekten und Materialien, etwa Federn, überwindet den Raum um die Kunstwerke und negiert dadurch, dass der Raum für das Da-Sein dieser Werke überhaupt Bedeutung hat. Die überraschende Konsequenz ist zuweilen, dass die Spannung zwischen Material und Raum einen Dialog eröffnet, im Zuge dessen die Materialien eine eigenständige Identität entwickeln, anstatt einfach Teil der Installations-Komposition zu sein.

Über die Erfindung von Chiffren als Teil eines narrativen Prozesses erhalten die Arbeiten eine eher psychologisch-metaphysische Präsenz. Zusätzlich vermitteln die einzelnen Elemente der Kompositionen durch die Art, in der sie präsentiert werden – oder: im Raum stehen – den Eindruck einer gewissen erfüllten Zurückhaltung, was ihnen beinahe schon den Charakter des Dekorativen verleiht.

Der von Tadei eingeschlagene Weg ist nicht einfach der, Formen zu kreieren, sondern diesen Formen durch die Betonung des Skulpturalen eine neuartige Präsenz zu verleihen. Die Wiederholung der Einzelelemente eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Schaffung neuer Räume. Die instinktgeladene Spannweite ihrer Arbeiten und deren Umsetzungen, auch das Überwinden der einfachen geometrischen Abstraktion, zeugen von einer eindrucksvollen Reife der Künstlerin und der tiefen Verpflichtung ihrer Arbeit gegenüber. Ständige Auseinandersetzung mit den Bezügen zwischen Idee und Form ihrer Skulpturen führt in den von ihr erstellten Strukturen zu jener gelungenen Ausgewogenheit – Strukturen, in denen MariaLuisa Tadei zu einer ungewöhnlichen Kraft gefunden hat.

Der Autor Victor de Circasia ist Kunstkritiker, unterrichtet am R.C.A. in London und ist Gastprofessor an der Wisconsin University und an der M.I.T.-University (USA).