MariaLuisa Tadei. übergänge

Katalog 2002 mostra Museum und galerie Im Prediger e-Kloster der Franziskanerinnen Schwabisch Gmund und Kulturzentrum Englische Kirhe-galeri Scheffel, Bad Homburg v.d.Hohe “MariaLuisa Tadei Soglia Ubergang Threshold” 2002 ISBN 3-9807297-4-5.

„Wie der Baum das Keimen und das Aufsteigen von vitalem Saft provoziert, der von innen nach außen geht – so entstehen in der Kunst Phänomene, die aus der Progressivität von Vitalität resultieren. In der Kunst müssen sie natürlich individuelle Aspekte annehmen, damit man sie formal identifizieren kann. Diese Aspekte entstehen meist in einem Klima des Übergangs, von Weisheit. Aber nur dann, wenn das Eingehen auf Übergänge, das Kontrollieren der Übergänge, Bestandteil der Untersuchung ist. Dagegen hat der in einer Formel verfestigte Mensch keine Übergänge. Zumindest zieht er sie nicht in Betracht. Er zeigt keine Wirkung. Dagegen ist die Kunst die Auswirkung der Übergänge.“
(Mario Merz)

MariaLuisa Tadei inszeniert visionäre Ausstellungsbilder von faszinierender Poesie. Der „träumerische Lyrismus“, den Gottlieb Leinz dem Werk Tadeis bescheinigt, verbindet Traum und Wirklichkeit, Bewusstsein und Unbewusstsein zu einem universalen Raumkonzept. Es basiert auf den archaischen Wurzeln von Natur und Religion und wird formuliert mit den modernen Mitteln künstlerischer Vergegenwärtigung.

Tadeis artifizielle Landschaften verkörpern Irdisches und Göttliches in seltener Eintracht: vom „L’orto delle intuizioni“ („Garten der Intuitionen“), bestehend aus kleinen bronzenen Kakteenpflanzen und organisch anmutenden Körpern, über das griechische Kreuz „+“ – einer aus farbigem Glas bestehenden Bodenarbeit, ausgestellt im Franziskanerinnenkloster in Schwäbisch Gmünd – bis hin zu „Intra me“ („in mir“), jenen übergroßen runden Plexiglasscheiben mit einem Durchmesser von je 150 cm, die ihre farbige Struktur durch ein aufwendiges computergesteuertes Spritzpistolenverfahren erhalten.

„Das Innerhalb und das Außerhalb der Erde stehen in ständiger Beziehung zueinander.“ (Mario Merz) Tadeis Konzept der Annäherung von Natur und Religion zeigt sich einerseits in einer Mystifizierung der Natur und im Gegenzug in ihrem Versuch einer Verbildlichung des unfassbaren Göttlichen. Ihre erste öffentliche Installation in Deutschland zeigt diese Annäherung besonders deutlich. Beim Bad Homburger Skulpturenprojekt „Blickachsen 3“ der Galerie Christian Scheffel bestückte Tadei im Sommer vergangenen Jahres den historischen Baumbestand des Kurparks in unterschiedlichen Höhen und Abständen mit fünf ihrer „Oculi dei“ („Augen Gottes“) der Installation „Divini vultus“ („Antlitz Gottes“). Eine weitere, ältere Arbeit aus dem Jahre 1996, genannt „Equilibri“ („Gleichgewicht/Balance“), zeigt vier über-einander schwebende und sich nach oben verkleinernde Netze gefüllt mit Federn. Eine dritte, ebenfalls mehrteilige Arbeit ohne Titel, ein Jahr später konzipiert, zeigt drei einfache, kegel förmige Stangenzelte aus dünnen Drahtstäben in transparenter Reihung montiert. In den Innenraum eines jeden „Tipi“ hat Tadei einen runden, gleichfalls mit Federn gefüllten Netzbeutel gehängt. In Erinnerung an die Iglus von Mario Merz und damit als Hommage an die italienische Arte Povera verstanden, erfährt die einfache Form in all ihrer entmaterialisierten Durchdringung und schwerelosen Transzendenz eine fast spirituelle Nobilitierung.

Verantwortlicher Auslöser für die meditativen Qualitäten in den Raumobjekten MariaLuisa Tadeis ist das Zusammenwirken von Material, Licht und Raum. Jeder der Faktoren wirkt vor allem durch seine kontrastierenden Eigenschaften. Die Materialien zeugen sowohl von einer extremen Schwere wie von einer extremen Leichtigkeit. Massive Bronze, Stahl und Eisen stehen Federn, Nylonnetzen und Acryl gegenüber. Ähnlich reicht die Lichtwirkung vom scheinbaren Hindurchfluten durch die materielose Substanz bis hin zur harten Brechung scharf konturierter Bronzekörper. Und schließlich manifestieren sich durch beides Raumgrenzen ebenso wie Raumdurchdringung in klar formulierter Gegensätzlichkeit.

Als Tadeis ureigenes Verdienst würdigt Omar Calabrese die Entwicklung einer „neuen Abstraktheit“. Dazu zählt nicht nur die Reduktion von Form, Farbe und Bildsprache, sondern vor allem die damit einhergehende Wirkung. Immer wieder beeindrucken vermeintliche Schwerelosigkeit und Schwebezustand, Transparenz und das scheinbare Sich-Auflösen der Materie. Und: „Alle Verben, die einem zur Beschreibung ihrer Werke in den Sinn kommen, haben etwas gemeinsam: fließen, schweben, segeln, fliegen, verweilen, kreisen …“(Omar Calabrese). Ohne Zweifel beschreibt Calabrese einen Raum, in dem sich nicht die Realität widerspiegelt, sondern der in eine in sich geschlossene, surreale Kapsel verwandelt wurde, die geräusch- und zeitlos zu sein scheint. Die in diesem Raumvakuum innewohnende Poesie ist eine Poesie der Träume und der Phantasien, und damit der mentalen Seelenzustände menschlicher Existenz. Sie vermitteln zwischen Bewusstsein und Schlaf, Leben und Tod und lassen immer wieder neue, einzigartige Übergänge entstehen.

„Meine Arbeiten erscheinen mir, als könnten sie unseren Träumen angehören, als seien sie Erinnerungen an eine andere Welt. Ich glaube, dass in jedem von uns Zeichen dieser Welt existieren, einer universalen Essenz, aus der das Leben und der Kosmos hervorgehen. Diesem Gundgedanken entspringen meine Überzeugungen und meine Kunst, die die göttliche Seite in allen Dingen und Menschen zu zeigen versucht.“
(MariaLuisa Tadei)

Die Autorin Dr. Gabriele Holthuis ist Direktorin von Museum und Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd.